Als Valeria Gordeev im Juli 2023 den Ingeborg-Bachmann-Preis gewann, war sie in der Literaturwelt keine Unbekannte mehr. Regelmäßig gestaltet sie Buchcover des Berliner Guggolz Verlags – filigrane Zeichnungen von Apfelhälften, Weißwalen, einer Mohnblumenwiese. Mit derselben Genauigkeit, in der sie ihre feinen Striche aufs Papier setzt, konstruiert Gordeev auch ihre Sätze. Ihr ausgezeichneter Wettbewerbsbeitrag „Er putzt“ beschreibt einen vermeintlich banalen Vorgang mit hingebungsvoller Akribie. Ein junger Mann putzt, wischt und poliert die Wohnung mit einer ganzen Armee an hochwirksamen Chemikalien. Es sind Kleinigkeiten – Formulierungen oder einzelne Wörter – die beim Lesen stutzen lassen: Schrubbt hier jemand im Kleinen gegen die Verrohung, das Leid und die Gewalt in der gesamten Welt? Valeria Gordeev findet Wahrheit in der sorgfältigen Betrachtung des Alltags. Gerade arbeitet die 1986 in Tübingen geborene Autorin an ihrem Debütroman „Die Zikade entschlüpft ihrer goldglänzenden Hülle“. Darin entwirft sie u. a. ein Forschungsinstitut, das sich der Erhaltung von Lenins Leichnam widmet. Auch den putzenden jungen Mann soll man darin wiedertreffen, verrät sie.
Gordeev, deren Eltern Ende der 1970er-Jahre aus der Sowjetunion ausgewandert sind, interessiert sich außerdem für die Strukturen des Literaturbetriebs. „Es müsste viel mehr Preise geben“, sagte Gordeev unmittelbar nach Verkündung der Auszeichnung und hob in zahlreichen Interviews die Texte ihrer Konkurrenz hervor. (M. Z.)
Auszeichnungen u. a.: Stipendium des Landes Brandenburg (2019), Literaturstipendium des Landes Baden-Württemberg, Alfred-Döblin-Stipendium, Grenzgänger Stipendium (2020), 1. Preis der Floriana Biennale für Literatur (2022), Ingeborg-Bachmann-Preis (2023).