Das menschliche Herz ist einer Faust zumindest der Größe nach ähnlich. Aber wie gehen Herz und Faust, die für Gefühl und Wut stehen, im Gedicht zusammen, wenn man selbst ein Kind bekommt und sich dadurch so vieles ändert? Wie lässt sich das Schreiben mit Mutterschaft vereinbaren? Warum haben immer nur die anderen Frauen und Mütter die sauberen, unverknickten Bücher im Regal, während man selbst hastig beim Essen wenige Seiten liest und dann prompt auch verkleckert? Oder nachts beim Lesen vor Müdigkeit einfach einschläft? Wohin also mit der Wut, die im Leben einer Mutter, die selbst Tochter ist, dazwischenfunkt noch in den unpraktischsten Momenten, die den Frauen in der Erziehung so gerne und gründlich abgewöhnt worden ist?
In Sibylla Vričić Hausmanns neuem Lyrikband „meine Faust“, dessen Titel einen der berühmtesten Texte der deutschsprachigen Literatur ironisch zitiert, werden diese Fragen in zweimal sechs Abschnitten im Medium der poetischen Sprache in zarter und konzentrierter Weise gestellt. Sibylla Vričić Hausmann schreibt sich und ihren Leser:innen über ihre Gedichte und in der Anrufung anderer Autorinnen und Künstlerinnen wie Annette von Droste-Hülshoff, Sappho und Yoko Ono den Mut der Verzweiflung zu, sucht nach Ventilen in der Sprache. In dem Essay „wo ist deine Wut“, der die Gedichte ergänzt, hinterfragt sie eine Gesellschaftsordnung, die noch immer auf Männlichkeit und Effizienz zugerichtet ist: „Ich verspüre den täglichen Auftrag, die Wut (und das Begehren) von mir fernzuhalten. Ich kenne ihn schon aus Mädchentagen, doch noch nie wurde er so explizit und einstimmig an mich gestellt.“ (B. T.)
Auszeichnungen u. a.: Arbeitsstipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen (2016), Orphil-Debütpreis (2018), Aufenthaltsstipendium am Literarischen Colloquium Berlin (2019), Denkzeit-Stipendium der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen (2020), INITIAL-Sonderstipendium der Akademie der Künste (2021/22), Malkowski-Stipendium der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (2022).
Veröffentlichungen (zuletzt):
– „Ansicht der leuchtenden Wurzeln von unten. Lyrik aus den deutschsprachigen Literaturinstituten“, Hrsg. zus. mit Y. Breyger, Ö. Ö. Dündar, A. Kappe, R. Othmann und S. Warzecha, Poetenladen, Leipzig 2017
– „3 Falter“, Gedichte, Poetenladen, Leipzig 2018
– „meine Faust“, Gedichte, kookbooks, Berlin 2022