Ich bin ein schwarzer Optimist.
Andrej Kurkow ist einer der bedeutendsten und weltweit populärsten Schriftsteller der Ukraine. Seine zutiefst menschlichen, häufig humorvollen, oft aberwitzigen und gerne auch mal mit satirischen, grotesken und fantastischen Elementen gewürzten Romane erscheinen in über 40 Sprachen. Nur in Russland werden sie seit 2005 nicht mehr veröffentlicht und seit 2014 ist es sogar strafbar, seine Werke nach Russland zu importieren. Und das, obwohl der Autor auf Russisch schreibt. Der 1961 in der Nähe von St. Petersburg geborene Andrej Kurkow zog mit seinen Eltern im Alter von zwei Jahren nach Kiew und ist ukrainischer Staatsbürger. Er selbst bezeichnet sich als russischsprachigen ukrainischen Schriftsteller, der Kiew und die Ukraine liebe. Den derzeitigen Hass seiner Landsleute auf Russland und die russische Sprache kann Kurkow gut verstehen. Deshalb schreibt er Sachtexte und Kinderbücher seit Kurzem auf Ukrainisch, aber literarische Texte verfasst er nach wie vor auf Russisch. „Auf meine Muttersprache zu verzichten habe ich nicht vor. Aber ich respektiere das Recht eines jeden, seinen eigenen Weg einzuschlagen und sich für die Sprache seiner Wahl zu entscheiden“, erklärte Kurkow kürzlich in einem Essay in Die Welt. Er trifft sich auch weiterhin mit russischen Autoren, wie Wladimir Sorokin und Michail Schischkin, die sich öffentlich vom Putin-Regime distanzieren, obwohl das bei vielen Ukrainer:innen nicht gut ankommt. Andrej Kurkow, der bis vor kurzem Präsident des ukrainischen PEN-Clubs war, gilt weltweit als einer der großen Erklärer der Ukraine. Dass er von Kiew aus unermüdlich durch die Welt reist, um Vorträge zu halten und Interviews zu geben, hängt nicht nur mit seinem Renommee als international bekannter Schriftsteller und seiner enormen Bildung und Klugheit zusammen, sondern auch mit seiner großen Begabung für Sprachen. Der polyglotte Kurkow beherrscht sieben Sprachen fließend und vier weitere rudimentär. Weil er ursprünglich Diplomat werden wollte, hat er in Kiew zahlreiche Fremdsprachen studiert und besitzt auch ein Diplom als Übersetzer aus dem Japanischen. Nur Deutsch wollte Kurkow in der Schule nicht lernen, weil deutsche Nationalsozialisten seinen Großvater getötet und in einem Massengrab bei Charkiw verscharrt hatten. Den Widerstand gegen die deutsche Sprache gab er erst mit 37 Jahren auf. Am Kiewer Goethe-Institut lernte er Deutsch und spricht es heute perfekt, indem er die „Sprache des Feindes“ zur Sprache seiner Freunde in Deutschland, Österreich und der Schweiz machte.
Als Andrej Kurkow mit Anfang dreißig seinen ersten Roman schrieb und keinen Verlag fand, nahm er das Marketing selbst in die Hand. Er nahm einen Kredit auf, druckte im Selbstverlag und klebte Plakate auf die Stadtbusse von Kiew mit dem Spruch „Der Bestseller, von dem alle reden“, bevor überhaupt ein Exemplar verkauft war. Noch schwerer war es für Kurkow, einen Verlag im Ausland zu finden. Nach vielen Ablehnungen nahm ihn der Diogenes Verlag unter Vertrag. Schon sein erster auf Deutsch erschienener Roman „Picknick auf dem Eis“ (2000) wurde ein internationaler Bestseller. Es folgten Romane wie „Pinguine frieren nicht“ (2003), „Die letzte Liebe des Präsidenten“ (2005), „Die Gärtner von Otschakow“ (2012) oder „Jimi Hendrix live in Lemberg“ (2014), wo Kurkow mit schwarzem Humor und sarkastisch-ironischem Blick vom absurden Leben in der postsowjetischen Ukraine erzählt. Ein großer Erfolg wurde auch der Roman „Graue Bienen“ (2019), der von einem Hobbyimker und dem leidvollen Alltag zwischen den Frontlinien im annektierten Donbass erzählt. Große Parallelen zum jetzigen Krieg in der Ukraine zeigen auch seine aktuellen Romane „Samson und Nadjeschda“ (2022) und „Samson und das gestohlene Herz“ (2023), und das obwohl sie in den Wirren der Russischen Revolution 1919 spielen.
Kurkow bezeichnete sich selbst einmal als „schwarzer Optimist“. Das sei jemand, der wisse, dass am Ende alles okay sein werde, sich aber niemals sicher sei, ob er das Ende noch selbst erleben werde. Ob das Leben ein Happy End bereit hält, darüber kann man geteilter Meinung sein. Ganz sicher ist Andrej Kurkow aber ein großer europäischer Erzähler.
Dirk Kruse
aktuell: Samson und das gestohlene Herz. Roman. Diogenes, Zürich, Jul 2023